Nadelstreifen

2016
In John Bergers Essay „Der Anzug und die Photographie” heißt es: „Der Anzug, so wie wir ihn heute kennen, entwickelte sich im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts in Europa zum professionellen Kostüm der herrschenden Klasse. Beinahe so anonym wie eine Uniform, war er das erste Kostüm, das eine ausschließlich ruhende Machtausübung idealisieren sollte: die Macht des Administrators und des Konferrenztisches. Der Anzug war im wesentlichen für die Gesten des Sprechens und abstrakten Kalkulierens gemacht. (...) Er war ein
Kleidungsstück, das kräftige Bewegungen hemmte, ja, das von Bewegung eher zerknittert, verbeult und verdorben wurde.“

Eben dieses Verknittern und Verderben wendet Nemes sich zu, den Spuren des Menschlichen, die wir eigentlich zu kaschieren suchen. Mit ihrer Inszenierung steigert Nemes diesen Abnutzungsprozess ins Absurde, erhöht ihn zum Dialogmittel selbst. Dem Kleidungsstück der Macht haftet nun Religiöses an oder Politisches oder es wird Attribut eines Portraits der Rennaissance. “Nadelstreifen” ist eine haptische Arbeit, in der die Masche des feinen Stoffes Berührung einfordert, bis das sture Kleidungsstück gehorcht und zur Skulptur wird, einem Gebilde, das für den Träger gemacht scheint und das dieser mit stoischer Selbstverständlichkeit trägt, als hätte es nie eine andere Art des Tragens gegeben.

Loredana Nemes – Nadelstreifen
Softcover
Deutsch | Englisch
22,5 x 16,5 cm | 16 Seiten | 16 Fotografien
Podbielski Contemporary, Berlin